Als ich den ersten Schock nach Hans Tod überwunden hatte, war die Trauer und die Leere in mir übermächtig groß. Nach 6 Wochen habe ich mich zwar wieder ins Arbeitsleben gestürzt, aber dies diente zu einem Gutteil mehr der Ablenkung.
Schonzeit als Trauernde wurde mir durch die Rücksichtnahme der Kolleg:innen einige Zeit gewährt, den größte Anteil davon hat mein Team getragen. Zum damaligen Zeitpunkt waren wir bereits über einen langen Zeitraum unterbesetzt. Wenige Tage vor Hans Tod hatte ich noch eine weitere Kollegin für das Team eingestellt, Arbeitsbeginn 15.1.
Manchmal hatte ich tatsächlich ein schlechtes Gewissen, weil gerade die neue Kollegin mich des Öfteren sehr unprofessionell am Arbeitsplatz weinen sah. Mir war es in den ersten Monaten kaum möglich, mit jemanden zu sprechen und nicht irgendwann Tränen in den Augen zu haben.
Mein Team bestand aus vorwiegend sehr jungen Kolleg:innen – noch nie mit dem Tod in Berührung gekommen, noch wenig Lebenserfahrung, waren sie hilflos im Umgang mit mir. Aber sie haben sich mir gegenüber ganz normal verhalten, das hat mir wirklich geholfen.
In dieser Zeit habe ich ganz stark bemerkt, wie unfähig wir im Umgang mit trauernden Menschen sind. Einerseits weil vielleicht der/die Trauernde einem nicht besonders nahe steht, andererseits weil Menschen wohl auch nicht über den Tod sprechen möchten. Es könnte wohl an die eigene Endlichkeit erinnern oder man stellt fest, dass niemand davor gefeit ist, in eine ähnliche Situation zu geraten.
Damals hat aber gerade dieses Schweigen, dieses aus dem Weg gehen, mich sehr verletzt. Man soll nach wenigen Wochen wieder funktionieren – der Tod wird einfach auf die Seite geschoben.
Heute – mit etwas Abstand – kann ich darüber ohne Schmerz schreiben. Ich würde mir wünschen, dass wir auch Ereignisse wie eben die Trauer in unser Denken, Handeln, ja in unser Leben lassen. Nichts ist für einen trauernden Menschen schlimmer, als das Gefühl vergessen zu sein, oder keine Ansprechpersonen zu haben, mit denen man über den Verlust sprechen kann.
Irgendwann auf meinem Trauerweg wurde ich darauf angesprochen, ob ich nicht meine Gedanken darüber teilen möchte. Nun vielleicht – ich versuche es mal. Gemäß Trauergespräche mit meiner Therapeutin, gibt es unterschiedliche Auffassungen welche Trauerphasen es gibt, ich persönlich habe für mich folgendes festgestellt:
1) Nicht wahr haben wollen – o ja ich konnte es einfach nicht glauben, dass Hans nicht mehr ist. Ich habe zwar seinen leblosen Körper gesehen und berührt, aber die unmöglichsten Dinge gingen mir noch Tage danach durch den Kopf. Er wäre im Bestattungswagen nochmals aufgewacht, er liegt irgendwo im Dauerkoma, er wollte untertauchen usw. Das Begräbnis war hier für mich ein veränderndes Erlebnis. Als ich danach abends in die leere Wohnung kam, war mir zum ersten Mal bewusst, Hans kommt nicht mehr.
2) Unterschiedliche Emotionen – Wut, Schmerz, Zorn. Der Schmerz über seinen Tod war sehr lange sehr tief. Ich war auch zornig auf das Schicksal und wütend warum Hans sterben musste. Diese Wut hat sehr lange angehalten, sie hat sich eine kurze Zeit auch gegen Hans gerichtet. Warum ist er nicht regelmäßig zum Arzt gegangen, warum hat er nicht mehr auf sich geachtet, warum hat er nicht noch mehr abgenommen usw. aber diese Phase war relativ kurz. Wahrscheinlich hängt es auch damit zusammen, dass ich davon felsenfest überzeugt bin, dass Hans für mich und mit mir sehr gerne noch viel länger zusammengelebt hätte. Aber die Wut auf Andere hat lange angehalten. Wütend weil niemand da war der mit mir über ihn reden wollte, wütend dass andere leben und er tot ist. Und ich habe mir 100x die Frage gestellt, warum nicht ich an seiner Stelle gestorben bin.
3) Suchen und sich trennen – ich habe mithilfe von Freunden es geschafft, an Orte zurückzukehren, an denen ich mit Hans glücklich war. Da war unser Weinviertel-Projekt, bei dem mich Heidi einfach in Panik um Luft schnappen ließ, ich dort um Hans weinen konnte, aber niemals ganz allein damit war. Das waren so viele Wege in Wien die wir gemeinsam gegangen sind, Gesprächsthemen die ich Kopf immer wieder abgespielt habe, der erste Besuch in Bad Waltersdorf, wo Hans wenige Monate vor seinem Tod mit mir sich so wohl gefühlt hatte. Wie er das Abendessen dort genoss, das abendliche schwimmen. Aber auch wenn ich ihn in meiner Fantasie auf der Couch im Wohnzimmer sitzen sah, sein ganz besonderes Frühstück am Sonntag genießend. Wie er einen der Kater vor sich auf seinem Schreibtisch liegend, den Bauch streichelte, wie er mit seinem fetzigen neuen Bademantel, wie ein Mönch dahinschreitend, die Katzenkisterl gemacht hatte und erklärte es wäre sein täglicher Geruchs-Coronatest.
In dieser Phase habe ich mich oft über mich selbst gewundert. Ich war erstaunt wie gut ich Hans Ausführungen in den Gesprächen wiedergeben konnte, offensichtlich habe ich ihm aufmerksam zugehört. Dabei kamen aber auch immer wieder sehr dunkle Gedanken auf, nämlich was bedeutet mir ein Leben ohne Hans?
Ja Suizid war auch Thema. Davor hat mich schlussendlich immer wieder abgehalten, dass unsere 3 Kater einfach wunderbare, liebevolle Tiere sind. Die 3 haben sich seitdem Hans nicht mehr ist, mir immer weiter geöffnet, auch wenn sie Besucher: innen weiterhin kaum zugehen. Die Buben haben auch gelernt, sich untereinander besser zu vertragen, soweit als das sie seit einiger Zeit nun alle 3 in der Nacht auf Hans Bettseite, meinen Schlaf bewachen. Die Phase des sich Trennens bin ich noch nicht ganz durch, aber am Weg. Also die Entscheidung weiter zu machen, auch wenn es Hans nicht mehr gibt.
4) Neuer Selbst- und Weltbezug – obwohl noch etwas in Phase 3 steckend, habe ich begonnen meine Rolle auf dieser Welt neu zu überdenken. Wie will ich weitermachen?
Dabei bleibt Hans immer ein Teil von mir, aber ich habe für mich beschlossen, wenn ich nicht mehr Interesse am Leben zeige und in der Trauer verharre, dann ist das vergeudete Zeit. Hans wusste, dass ich ihn von ganzem Herzen liebe. Das Foto auf seinem Grabstein lacht mir regelmäßig an und ja, ich führe stille Gespräche mit ihm. Weil er mir trotz neuem aufkeimenden Lebensmut so unendlich fehlt.
Wenn ich also Wünsche frei hätte, dann wäre es fein, wenn wir den Tod wieder als Teil des Lebens ansehen und die damit verbundenen Phasen mit in unseren Alltag aufnehmen. Damit wäre den Trauernden sehr geholfen und wir würden das Thema nicht so ausgrenzen. Was ich im Übrigen noch bei einigen anderen Themen des Lebens ähnlich sehe, aber das ist eine andere Geschichte.
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