Ich war, einen Monat nach Hans Tod bei seiner Familie. Ich wollte ihnen die Informationen die ich von einer Rechtsanwältin bekam, mitteilen. Für mich war dieser Besuch sehr unwirklich – niemals davor war ich alleine dort. Erhofft hatte ich mir, mit seinen Geschwistern, mit seiner Mutter über ihn zu sprechen. Das war leider nicht der Fall, warum weiß ich nicht. Für mich fühlte es sich damals so an, man wollte mit mir nicht über ihn reden.
Das war eine sehr schwierige Phase für mich. Jetzt – einige Zeit später – sehe ich das klarer. Vielleicht konnten sie auch nicht sprechen, vielleicht wollten sie still trauern. Im Grunde war ich doch die Fremde, die mit Hans verheiratet war. Die Familienbande waren davor ja auch nicht so fest und die Besuche bei ihnen, auch durch Corona, waren selten.
Hans und ich, wir hatten eine sehr intensive, sehr innige Beziehung, aber weder er noch ich, hatten außerhalb unserer Zweisamkeit mit anderen Personen einen engeren Austausch über Wünsche, Gefühle oder Pläne. Als mein Schwiegervater 2 Jahre vor Hans starb, hatten wir lange Gespräche. Weil ich es nicht hinnehmen wollte, dass ein Mensch geht und das wars. Anfänglich wusste Hans nicht, wie er darüber reden sollte, er war auch ein wenig zickig. Dann aber öffnete er sich, er erzählte von seinem Vater, die schönen Erinnerungen aber auch davon, dass es manchmal schwierig war. Für seine Verhältnisse sprudelte es irgendwann fast aus ihm heraus. Ich hatte den Eindruck, das Reden hat ihm eine Last genommen, denn auch wenn er nur wenig weinte, habe ich gespürt, dass es ihn erleichtert.
Hans war ein sehr realistischer Mensch, er wusste der Tod gehört zum Leben, aber ich durfte ihm die Möglichkeit geben, seine Erinnerungen in Worte zu fassen. Und er war sehr ehrlich, wir beide hielten nichts von dem Gedöns, über Verstorbene spricht man nur gut.
Ich hätte mir auch Menschen gewünscht, die Hans besser gekannt hatten, dass diese Menschen sich mit mir zusammensetzen und über ihn reden. Und ich will nicht sagen, dass da überhaupt niemand war, aber seine langjährigen „Freunde“ und seine Familie taten es nicht. Ja ich hatte Unterhaltungen mit Personen die meinten sie hätten Hans gut gekannt, aber einige dieser Gespräche waren eher frustrierend als erleichternd, weil ich feststellen musste, wie wenig Tiefe vorhanden war. Dies ist sicherlich auch Hans Naturell geschuldet. Er hat die meisten Herausforderungen seines Lebens wenig besprochen, sondern einfach für sich gelöst.
Das war übrigens einer der besonderen Eigenschaften die Hans an mir gemocht hatte. Nicht immer, manchmal war er der Meinung ich müsste nicht alles im Leben hinterfragen, aber grundsätzlich hat ihn meine Fragerei oft auf neue Wege geführt. Umgekehrt habe ich zumindest ein wenig gelernt, nicht jede Aktion auch verstehen zu müssen.
Wer jedoch nun glaubt, Hans war kein Mensch mit Tiefgang und Gespür für sein Umfeld, der irrt. Einen unserer gemeinsamen Bekannten, wollte wir mehrmals zu uns einladen. Aber es hat aufgrund seiner Körperfülle Hindernisse gegeben. Wir hatten in unserer Wohnung keine Sitzgelegenheit und wollten unseren Freund nicht in eine peinliche Lage bringen. Also hatten wir gemeinsam beschlossen, wir machen das eben im Projekt draußen. Dafür hat Hans eine sehr stabile Sitzbank gezimmert, die einiges aushielt. Parallel dazu hat sich Hans überlegt, nachdem unser Bekannter von einigen gesundheitlichen Problemen erzählte, ob wir ihn nicht 1x im Monat zu uns zum Essen einladen könnten um ihm dadurch einen Tag mit „gesunder“ Ernährung zu „bescheren“. Diese Ideen kamen von Hans – nicht von mir. Weil es Hans wichtig war, dass es seinem Umfeld gut geht.
Wir hatten auch am Beginn in unserer Wohnung einen „offenen Samstag“. Wir wollten aus unseren unterschiedlichen Kreisen, Menschen zusammenbringen. Wir haben das auch zweimal gemacht, scheinbar sind die Menschen aber so beschäftigt oder was auch immer, jedenfalls sind Manche ohne sich abzumelden, einfach nicht gekommen. Aber wir hatten einen wunderbaren Brunch mit einem ehemaligen Kollegen von mir. Hans und er haben sich sofort gut verstanden.
Hans hat mich auch in seiner Vergangenheit mitgenommen, seine Erlebnisse mit seinem Freund Harry beispielsweise. Hans war betroffen, als Harry starb, ich kannte ihn nicht, aber durch seine Erzählungen über ihre gemeinsame Zeit konnte Hans die Erinnerungen aufleben lassen.
Warum schreibe ich das überhaupt? Nun weil in mir die Erinnerungen hochkommen wollen. Weil ich nicht der Mensch bin, der alles nur mit sich trägt. Ich kann und will niemanden mit meinen Ausführungen zwangsbeglücken, aber ich kann sie auch nicht weiter runterschlucken.
Wahrscheinlich ist es auch eine Handlung um irgendwann etwas zu hinterlassen. Familie im engsten Sinne habe ich nicht, Kinder ebenfalls nicht. Ein wenig wehmütig werde ich, wenn ich mich an meine Zeit zwischen 16-18 Jahren bei meinen Großeltern erinnere. Mein Großvater und ich im Wohnzimmer, jeder in einem Ohrensessel sitzend, zwischen uns der kleine Beistelltisch, die Stehlampe gibt warmes Licht und Opa erzählt von früher. Ich mochte es, seinen Erinnerungen zu lauschen. Viele davon habe ich bis heute mitgenommen, auch die Erzählungen vom Krieg.
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