Bowling und ich. Eine leidenschaftliche Beziehung ohne Happy End

Das Leben hat manchmal Zufälle parat - vergangenes Wochenende waren es 2 besondere Erlebnisse die - zusammengeführt - für mich absolut Sinn machen und die ich SO noch nie betrachtet habe.

 

1) Ich habe am Wochenende eine Bekannte aus meiner aktiven Bowlingzeit getroffen. Natürlich war der Sport das Hauptthema - sie hat erst vor kurzem aufgehört zu spielen, während mein Ende bereits 17 Jahre zurückliegt.

2) Eine andere Bekannte hat mich auch dieses Wochenende auf Erich Fromm und sein Buch aus 1976 "Haben oder Sein" gebracht. Dabei ist mir dieser Absatz sofort ins Auge gesprungen:

"Die Gier ist immer das Ergebnis einer inneren Leere"

 

Zusammengeführt macht das für mich Sinn, weil Bowling fast 15 Jahre lang mein Leben bestimmt hat.

Ich habe mit zirka 17 das erste Mal zum Spaß Bowling gespielt und bin mit zirka 20 Jahren in den ersten Bowlingclub eingetreten. Bowling ist jedoch ein sehr teurer Sport und irgendwann habe ich dann wieder aufgehört.

 

Mit 24 Jahren habe ich auf einer Veranstaltung ein Pärchen kennengelernt, die beide Bowling spielten, parallel dazu war der Mann der Sohn einer Nachbarin meiner Großmutter. So kamen wir ins Reden und weil wir uns so gut verstanden haben, haben sie mich zu ihrem Clubabend eingeladen.

 

Also ich bin dort geblieben und wurde ordentliches Mitglied, einige Jahre hat mir die Hallenliga spielen auch gereicht, zwischenzeitlich habe ich den Club und die Halle gewechselt, zeitweise habe ich in 2 Hallenligen gespielt usw. Danach ist ein ÖSKB-Club an mich herantgetreten und ich habe in die nächste Liga gewechselt.

 

Bowling hat relativ rasch mein ganzes Leben beeinflußt. Ich war 2-3x wöchentlich trainieren, habe 1-2 Meisterschaften pro Woche gespielt und wenn ich nicht in der Halle war, habe ich sogar ab und an Ausdauertraining gemacht um beim Bowling besser durchzuhalten. Neben einem Vollzeitjob blieb da nicht mehr so wahnsinnig viel Zeit für andere Dinge.

 

Mein Freundeskreis war fast ausschließlich bei Bowlingspieler*innen zu finden, es wurden gemeinsame Freizeitaktivitäten gemacht und sogar Urlaube haben wir zusammen verbracht. Mein Vorteil dabei, mein damaliger Mann war ebenfalls Bowlingspieler, so war das locker möglich.

 

Ich wurde beim Bowling auch immer besser, mein damaliger Mann musste gesundheitsbedingt immer öfter aussetzen, aber er hat das für sich kompensiert und mich trainiert. Staatsmeisterin mit der Mannschaft bzw. im Doppel hat sich auch ergeben, ich hatte aber auch das Glück in einer extrem guten Mannschaft spielen zu dürfen. Einzig im Einzelbewerb konnte ich "nur" die Wiener Meisterin schaffen, die Staatsmeisterin im Einzel war zur damaligen Zeit von 2-3 Bowlingkolleginnen, die extrem gute Spielerinnen waren, dauerbelegt.

 

Ich bin noch heute davon überzeugt, wären nicht ein paar Ereignisse in meinem Leben eingetreten, es wäre sicherlich noch ein wenig bergauf gegangen. Dann aber kam der erste Vorfall. Am Weg zu einem Bowlingspiel hat mich eine Arbeitskollegin ein Stück mit dem Auto mitgenommen, dabei wurde sie von einem Linienbus gerammt. Es ist uns mit viel Glück fast nichts passiert, das Auto war ein Totalschaden.

 

Ich bin während des ganzen Unfalls und auch danach komplett ruhig geblieben, habe gelaubt okay das wars halt, eh nichts passiert. Aber dem war nicht so, Stunden später in der Bowlinghalle habe ich am ganzen Leib gezittert und konnte nur mit Müh und Not meine Spiele machen. Noch Wochen danach hatte ich schreckliche Träume.

 

Einige Monate später ist mein Vater verstorben. Er war 54 Jahre alt, hatte keine Vorerkrankungen und starb ganz plötzlich 14 Tage nach einem Urlaub. Mein Vater und ich hatten in meiner Kindheit und Jugend kein gutes Verhältnis, ich hatte sogar einige Jahre überhaupt keinen Kontakt zu ihm. Aber ein paar Jahre vor seinem Tod haben wir es geschafft uns auszusöhnen. Nämlich tatsächlich offen und ehrlich miteinander zu sprechen. Er hat mir erklärt warum er in meiner Kindheit manches so gemacht hat wie es eben war und hat sich sogar bei mir entschuldigt. Es ist und bleibt das größte Geschenk das ich erfahren durfte.

 

Gleichzeitig aber hat mein Vater mich niemals Bowling spielen gesehen. Er war selbst ein Mensch der sehr viel gearbeitet hat und es hatte ja den Anschein als könnte er es irgendwann nachholen. Leider eben nicht.  Jedenfalls habe ich seinen Tod sehr lange nicht verkraftet - ja ich habe funktioniert aber ich war sehr traurig.

 

Mit dem ganzen Rundherum hat sich auch meine damalige Ehe aufgelöst - wir waren nicht böse aufeinander wir konnten nur nicht mehr miteinander. Da gibt es auch keine Schuldzuweisungen, er war großartig als Papa starb aber er hatte auch nicht mehr die Kraft mich weiterhin zu stützen.

 

So und weil das alles nicht reichte habe ich nach zirka einem Jahr nach dem Tod von Papa angefangen, auf der Bowlingbahn Panikattacken zu bekommen. Ich habe mir eingebildet, ich würde mit den Fingern in der Kugel stecken bleiben. Schon alleine wenn ich die Bahn betreten habe, hatte ich Herzrasen, weiche Knie, Schweißausbrüche, und unheimliche Angst. Nichts, absolut nichts konnte mich davon überzeugen, dass ich den Ball auslasse und nicht stecken bleibe und hinfalle. Kaum runter von der Bahn ging es mir besser.

 

Ich also zur Neurologin und Beruhigungstabletten bekommen, gleichzeitig Entspannungsübungen nach Jacobson erlernt - njet. Überall war ich ruhig, auf der Bowlingbahn nicht. Also Psychotherapiesitzungen - die Therapeutin war der Meinung, man müsse sich alles rundherum ansehen und nicht das Bowling.

 

Nach knapp 2 Jahren, in denen ich es immer wieder probiert hatte, in denen ich regelmässige Therapiesitzungen hatte, in denen ich wie eine Anfängerin mich zur Bande gestellt hatte und die Kugel so zu spielen, musste ich mir unter Tränen eingestehen, ich werde nicht mehr spielen können.

 

Es war fürchterlich - ich habe damit alles was mir Spaß machte, verloren. Für einige Jahre habe ich dem Sport nachgetrauert - ich habe sogar 5 Jahre danach in München (da kennt mich niemand) in einer Bowlinghalle probiert, ob ich es nicht doch überwunden hätte - NICHTS.....

 

Die Therapeutin habe ich nach Ende meines Bowlingsports noch fast 3 Jahre besucht, immer in der Hoffnung ich schaffe es..... leider nein.

 

Ja der Verlust des Bowlingsports hat eine große Lücke in mein Leben gerissen. Die Gier nach Ersatz war extrem. Heute nach 17 Jahren kann ich darüber sprechen - ich konnte auch anderen Menschen die den Sport lernen wollten, Hilfestellung leisten, aber in einer Wiener Bowlinghalle war ich bis heute nicht.

Es genügt mir, dass die Erinnerung daran nicht mehr weh tut.

 

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