Lebens"wege"

Seit rund 25 Jahren gehören Spaziergänge zu meinem Leben. Begonnen hat es damit, dass ich eine damals nicht offizielle Beziehung unterhielt. Um uns zu treffen haben wir sehr oft stundenlange Spaziergänge unternommen.

 

Dann hatte ich eine zeitlang Panikattacken beim Auto fahren - also bin ich lieber gegangen als gefahren.

 

Und schlußendlich hatte ich in meiner letzten Beziehung keine andere Möglichkeit, alleine zu sein, nicht irgendetwas erledigen zu müssen, nicht arbeiten müssen, nicht so zu sein wie man es sich von mir vorstellt, außer auf meinen Spaziergängen.

 

Danach ist mir das Gehen einfach geblieben - kaum ein Tag an dem ich nicht meine 10.000 Schritte erreiche - es ist mir einfach wichtig. Es gibt mir die Möglichkeit meine Gedanken zu sortieren, außerdem kann man berufliche Telefonate auch oft im Gehen erledigen. Und der Monk der ich nun mal bin will auch eine Kontrolle der Wegstrecken - weswegen ich seit einigen Jahren keine normale Uhr am Handgelenk mehr habe sondern nur mehr Sportuhren.

 

Dieses Gehen ist heute auf meinem 8k Spaziergang wieder voll in meine Gedankenwelt eingedrungen. Grund dafür - ich bin heute Wege und Gassen abgegangen, dort war ich jetzt einige Jahre nicht mehr und das mit Absicht.

 

2018 bereits - als ich die leidige Geschichte mit der Erbschaftsabhandlung meiner Großmutter an der Backe hatte und so viele Wochen krank war, habe ich es ein einziges Mal geschafft, Teilbereiche der heutigen Route abzugehen - damals jedoch fast mit schlotternden Knien und mit Traurigkeit und Zorn.  Zu viele Erinnerungen verbinden mich mit dieser Strecke - leider meist negative, weswegen ich diese Gegend einfach gemieden habe. Heuer aber war ich schon ein paar Mal auf Teilstücken dieses Route, weil mit Corona sind mir ein wenig die Strecken bereits ausgegangen :) ich hätte mich in die eine Richtung noch ein wenig weiter ausdehnen können, aber da wäre ich den Menschenmassen schon sehr sehr nahe gekommen.

 

So aber heute habe ich wirklich einen Rundgang gemacht, der an sehr vielen Wegen, Gassen und Plätzen von damals vorbei geführt hat. Mir wurde zwar sehr lange vorgehalten, ich bekomme von meiner Umwelt nichts mit, aber heute kann ich das wieder für mich als falsch abtun. Ich erkenne die Veränderungen an den Häusern, das Nachverdichten, abgerissene Häuser, renovierte Gebäude, neue Shops, veränderte Straßenführungen uvm.

 

Und ich fühle die Orte und ihre Verbindung zu mir. Am Weg selbst waren da immer wieder Erinnerungen die aufgepoppt sind. Die Gasse in der ich eine wichtige SMS geschrieben habe, die mein Leben verändert hat, die Straße in der mir telefonisch ganz unproblematisch eine Unterkunft in meiner schlimmsten Zeit angeboten wurde, das Waldstück in welchem ich von meiner Begleitung dreist und unverhohlen einfach angelogen wurde, der Platz an dem man versucht hat, mich noch mehr zu erniedrigen als eh schon der Fall war, der Rundgang bei dem ich viele Male über Selbstmord nachgedacht habe uvm.  Aber diese Erinnerungen sind heute nichts mehr was mich runterzieht, eher im Gegenteil. Nur mit diesen Erfahrungen konnte ich lernen und schätzen, was es bedeutet von Menschen umgeben zu sein, denen man wichtig ist, die einem auf Augenhöhe begegnen, die einen lieben.

 

All das habe ich bei meinem Spaziergang gefühlt und gedacht und dabei war ich in mir ruhend. Ich habe gelernt zu akzeptieren, dass ich mit Menschen die mir nicht gut tun, nicht auskommen muss. Es ist vollkommen okay wenn ich diese komplett aus meinem Leben verbanne, wenn es für mich dann besser wird.

 

Und ich habe gemerkt wie die Zeit mich verändert hat - die Zeit und mein nun positives Umfeld. Früher wurde mir vorgehalten - ich sei ein durch und durch negativer Mensch. Nach heutiger Sicht sage ich NEIN - ich bin Realist und kein Mensch der meint, er müsse noch die größte Katastrophe rosa malen. Es wurde mir gesagt, alles was ich an technischen Dingen oder EDV angreife, würde kaputt gehen, das müsse an mir liegen. Heute durch den gedanklichen Anstoß einer lieben Bekannten sage ich - das passiert nur, weil ich so vieles ausprobiere und nicht nur 08/15 Bedienungen durchführe.

 

Ich bin mit dem größten Teil meiner bereits durchlaufenen Veränderung sehr zufrieden, ich habe binnen 7 Jahren wieder Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl aufgebaut, getraue mich auch mich selbst für gut zu befinden und auf Leistungen stolz zu sein.

 

Ja es gibt da noch 2-3 Dinge die könnten besser laufen - ich hoffe ich bekomme auch noch ausreichend Zeit das für mich zu ändern. Es ist nichts wobei mir Andere großartig helfen können, weswegen es ausschließlich an mir liegt. Aber ich bin guter Hoffnung auch das noch zu schaffen.

 

Deswegen - solche melancholischen Gedankenausritte sind durchaus als positiv zu werten, solange man erkennt dass sie einen auch sehr viel Gutes gebracht haben.

 

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