Zu-frieden

Viel zu lange nach Hans Tod, habe ich mich auf die Menschen und Ereignisse fokussiert, die in meiner Vorstellung nicht positiv liefen. Ich habe mir monatelange Gedanken darüber gemacht, warum Familie, Freunde und Bekannte sich nicht mehr meldeten, kein Interesse daran zeigten, wie es mir geht.

 

 

Ich habe an mir gezweifelt, was habe ich falsch gemacht, habe viele Tränen geweint, war sehr oft sehr traurig und fühlte mich alleine gelassen, unverstanden und abgeschoben.

 

Dieses Gefühl beherrschte mich über seinen ersten Todestag hinaus. Bis ich irgendwann begonnen habe, die Zeit alleine dafür zu nutzen, über die wunderbaren Begegnungen und Menschen nachzudenken, die in dieser Zeit für mich da waren.

 

Da war die Freundin, die beim Begräbnis an meiner Seite war. Ich fühlte mich nur durch ihre Anwesenheit etwas weniger allein. Da war meine Augenärztin, die mir sofort angesehen hatte, dass etwas nicht stimmt und die bis heute noch jedes Mal nachfrägt, wie es mir geht, die Anteil nimmt und mir Mut zuspricht.

 

 

Da war die Dame vom Reinigungspersonal in unserer Wohnhausanlage, die Hans so gerne mochte, weil er so freundlich zu ihr war und die mir bis heute jeden Tag eine Nachricht schickt.

 

Die Mutter meines Ex-Partners, die mir, als ich sie anrief und ihr unter Tränen erzählte, dass mein Mann verstorben ist, ihre aufrichtige Anteilnahme aussprach und mich wie eine Tochter behandelte. Sie sagte zu mir „ ach Mädchen, warum hast du immer so ein schweres Leben?“ Diese Worte haben sich so bei mir eingebrannt, weil ich mich gesehen und verstanden fühlte.

 

Die ehemalige Arbeitskollegin, die mich einfach in den Arm nahm und weinen ließ. Die Nachbarn, die mir wortlos den Katzensandsack abnahmen und mir vor die Haustür trugen, weil ich selbst noch 3 Taschen in der Hand hatte. Der Tierarzt, der, nachdem ich ihm sagte, ich merke mir im Moment nicht alles, mir einfach Alfreds Behandlung auf einen Zettel aufschrieb.

 

 

Ich weiß nicht, warum einige Menschen nach Hans Tod auch aus meinem Leben verschwunden sind. Wahrscheinlich ist es die schnelllebige Zeit, oder das Gefühl, nicht mit der Trauer umgehen zu können, vielleicht aber auch, weil ich allein niemals Teil ihres Lebens war.

 

Einige haben sich auch verabschiedet, wahrscheinlich weil ich so gefangen war in meiner Trauer und meinen Zorn und meine Wut nicht unterdrücken konnte. Weil ich mich betrogen fühlte, warum muss Hans sterben und mich allein zurücklassen, während andere weiterleben dürfen und das oftmals nicht zu schätzen wissen?

 

 

Das Leben ist und war niemals fair – und trotzdem ich bereits meine Mama und  Papa früh verloren habe, wusste ich nicht, wie ich aus diesem Verhalten rauskommen sollte.

 

Diesen Sommer, habe ich all die Ansätze der Menschen, die mich umgaben, durchgedacht, habe es mit einer Trauertherapeutin durchgesprochen und habe nach vielen langen Tagen für mich festgestellt, ich kann das außen nicht ändern, ich kann nur meine Einstellung zum Leben anpassen.

 

 

Mein Art zu leben und zu denken ist nach wie vor „kompliziert“ ich bin ein Kopfmensch, möchte alles verstehen, hinterfrage alles. Irgendwann in diesem Sommer 2024 also, bei einem meiner vielen Spaziergänge, habe ich mir die Frage gestellt warum? Warum ist es mir wichtig andere zu verstehen, warum wollte ich so unbedingt von manchen Menschen akzeptiert werden?

 

 

Ich führe bei solchen Überlegungen oft „Gespräche“ mit Hans. Wir konnten durchaus in vollkommener Harmonie schweigen, aber ich hatte auch das Privileg, dass ich Hans all meine Gedankengänge mitteilen konnte und er mir seine Sichtweise erläuterte. Oft haben mir seine Antworten gar nicht gefallen oder aber ich habe darüber nicht nachgedacht. Verblüffend aber, dass ich mich an vieles davon erinnern kann. Ich kann bei den meisten Dingen auch ziemlich exakt sagen, wo wir waren, als er mir seine Antworten gegeben hat.

 

 

Hans war ein in sich ruhender Mensch, der eine innere Zufriedenheit hatte, die ich schon immer bewunderte. Er hat sein Gegenüber so gelassen, wie es war – hat nur darüber nachgedacht, ob er diese Menschen mit ihren Anschauungen in seiner Nähe haben möchte oder nicht. Er hat in Gesprächen seinen Standpunkt vertreten, aber niemals mit Nachdruck. Weil ihm das egal war – er kannte seine Vorstellungen, hat sich Gegenargumente angehört, diese wohl auch durchdacht, kurz und knapp. Danach hat er entschieden ob er möglicherweise noch etwas bei seiner Sichtweise überdenken oder verändern müsste und gut wars.

 

 

Vor kurzem habe ich in einem Podcast gehört, dass Glück passiert, währenddessen Zufriedenheit etwas ist, an dem man aktiv arbeiten kann.  Parallel dazu habe ich ein kurzes Reel gesehen, in welchem ein Lehrer seinen Schülern erklären möchte warum es Gesetze braucht, aber bevor er mit dem Unterricht beginnt, verweist er eine Schülerin ohne Begründung aus dem Klassenzimmer. Er möchte nun von der Klasse wissen, wofür es überhaupt Gesetze braucht – es folgt die Antwort „für Gerechtigkeit“.  Der Lehrer erklärt, ja das ist richtig. Es braucht Gesetze um Gerechtigkeit herzustellen. Ob die Klasse es gerecht fand, dass er die Schülerin aus dem Raum geschickt hatte, nein das fanden sie nicht. Und warum dann niemand protestiert hätte? Weil Gerechtigkeit täglich und überall gelebt werden müsse – weil wir für andere eintreten sollen, wenn sie es nicht selbst können, weil wir nicht nur für uns leben, sondern wir leben miteinander.

 

Mich haben diese beiden Aussagen tief berührt – weil es für mich zusammengehört. Jemand der nicht mit sich zufrieden ist, dem wird es auch schwerer fallen, für andere einzutreten. Weil nicht zufrieden sein bedeutet ja auch, dass man zwar etwas erreicht hat, aber es genügt einem nicht. Dadurch ist man zu sehr mit sich selbst beschäftigt und hat weniger Kapazitäten um andere zu unterstützen.

 

 

Es ist nicht wichtig wieviel man besitzt, sondern wie zufrieden man damit ist. Natürlich ist es um ein vielfaches schwieriger, wenn man täglich ums Überleben kämpft, aber auch hier gibt es viele Beispiele an wunderbaren Menschen, die trotz ihrer schwierigen Lebenslage zufrieden sind.

 

Es klingt so simpel, aber das tatsächliche Verständnis dafür aufbringen, hat mich fast mein halbes Leben gekostet. Sogar mit Hans an meiner Seite habe ich mich oft gefragt „ aber da ginge doch noch was, warum soll es das schon gewesen sein?“ Er aber hat unbeirrt daran festgehalten, dass das was er gerade hat, für ihn genügt. Wenn ich das so niederschreibe fühle ich mich erleichtert – weil ich erst jetzt durch das schätzen lernen, der kleinen Dinge, die mir seit Hans Tod widerfahren sind, auch einen schon viel besseren inneren Zustand erreichen konnte.  

 

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