Als Hans gestorben ist, fühlte ich mich in den ersten Monaten so einsam, verlassen – und ja, auch lebensmüde. Ich war damals noch in der Annahme, dass, wenn ich mich mitteile, wenn ich offen mit meiner Trauer umgehe, ich auf Menschen treffe, die das akzeptieren. Die für mich da sind, die zuhören, die an meiner Seite bleiben.
Doch ich habe schnell gemerkt: Das war ein Irrtum. Die meisten Menschen möchten sich nicht mit Trauer umgeben. Viele gehen ihr aus dem Weg – vielleicht, weil sie nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Ich habe diesen Satz oft gehört. Und ich glaube, er stimmt. Aber das macht es nicht unbedingt leichter.
Auf der anderen Seite waren da auch Menschen, wenige – aber sie waren da. Sie haben mich nicht behandelt wie ein zerbrechliches Wesen, sondern wie immer. Manche von ihnen sind mir in dieser Zeit sogar näher gekommen als je zuvor. Sie sind zu echten Freunden geworden.
Ich habe lange darüber nachgedacht, über dieses „man weiß nicht, wie man mit Trauernden umgehen soll“ – und das daraus folgende „aus dem Weg gehen“. Anfangs wollte ich das nicht akzeptieren. Ich konnte es nicht. Ich wusste von Menschen, die ebenfalls um Hans trauerten, aber den Weg zu mir nicht gefunden haben. Ich habe versucht, zu erklären, dass es mir nicht zu viel ist, wenn jemand mit mir spricht, wenn jemand mich einbezieht, sogar bei einem Besuch an Hans’ Grab. Doch irgendwann musste ich einsehen: Ich kann niemanden dazu zwingen. Ich habe aufgehört, um Aufmerksamkeit zu bitten, um Austausch zu kämpfen. Denn irgendwann war da keine Kraft mehr übrig dafür.
Die „gut gemeinten“ Ratschläge, ich solle auch die anderen verstehen, haben mich lange mehr zornig als verständnisvoll gemacht. Wer von ihnen hat sich wirklich gefragt, wie es mir geht? Wer hat bedacht, dass ich, wenn sich die Mehrheit abwendet, ganz alleine mit meiner Trauer dastehe – mit meinen Sorgen, meinen Ängsten, meiner Erschöpfung?
Erst als ich aufgehört habe, zu warten und zu hoffen, dass sich etwas ändert – als ich akzeptiert habe, dass ich allein da durch muss – konnte ich wirklich trauern. Konnte meine Gefühle zulassen. Konnte begreifen, was dieser Verlust mit meinem Leben gemacht hat. Alles hat sich auf den Kopf gestellt. Ich hatte Panikattacken – manchmal wegen scheinbarer Kleinigkeiten, manchmal wegen fundamentaler Dinge wie meiner Existenzsicherung.
Rational betrachtet ergibt es keinen Sinn, wegen eines verlegten Wohnungsschlüssels in Panik zu geraten. Aber versuch das mal einem Körper zu erklären, der zittert und weint. Oder einer Seele, die schreiend aus Albträumen erwacht, in denen das Weinviertel-Projekt scheitert und die Bank alles nimmt.
Das alles liegt jetzt hinter mir. Ich konnte das Projekt schließlich verkaufen – mit Verlust, ja – aber es war der richtige Schritt. Und ich bin heute noch stolz, dass ich das durchdenken, annehmen und abschließen konnte, ohne Groll. Es war das Leben. Und ich bin noch hier.
Viele der Ratschläge, die ich bekommen habe, kamen mir wie Plattitüden vor – nicht weil sie böse gemeint waren, sondern weil sie keinen Bezug zu mir und meiner Realität hatten. Weil sie nicht von einem Ort der Empathie kamen. Ich habe gelernt, dass manche Menschen das schlicht nicht können. Und dass es kein Zeichen von Undankbarkeit ist, solche Ratschläge als nicht hilfreich zurückzuweisen – auch wenn man das mit Freundlichkeit tut
.
Nach fast zweieinhalb Jahren beginne ich, mir einen neuen Platz zu suchen. Ich baue mir eine Nische, ein Leben, das wieder zu mir passt. Eine Zeitlang dachte ich, ich könnte eine Art Galionsfigur für Trauernde sein. Aufzeigen, wie sehr Betroffene unter Ignoranz und Kontaktvermeidung leiden. Denn ich weiß, dass viele irgendwann im Leben Ähnliches durchmachen. Ich wünsche jedem, dass er dann auf Menschen trifft, die zuhören, anwesend bleiben, nicht weglaufen.
Doch ich habe erkannt: Mir fehlt die Kraft, diese Rolle zu übernehmen. Und – vielleicht noch mehr – die allumfassende Liebe zu allen Menschen, die es dafür bräuchte.
Gerade deswegen ist mein Respekt für jene, die sich selbstlos für andere einsetzen, umso größer geworden. Für Menschen, die ihre eigene schmerzliche Erfahrung in Mitgefühl und Engagement verwandeln. Sie haben meine aufrichtige Bewunderung.
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