Ein persönlicher Blick auf die neue Pensionsreform
Ich gehöre zu jenen, die Glück gehabt haben.
Ich habe genug Beitragsjahre gesammelt, arbeite heute reduziert – und weiß, dass
ich meinen Beruf in einem für mich guten Moment loslassen darf. Das ist ein Privileg. Doch ich schaue nicht nur auf mich.
Ich sehe Menschen in meinem Umfeld, die mit 59 ihren Arbeitsplatz verloren haben — hochqualifiziert, erfahren, motiviert. Das AMS sprach von “längerer Vermittlungsdauer” – was in aller Höflichkeit heißt: Die Chancen sind gering.
Eine Freundin berichtete aus ihrem großen Unternehmen: In der Verwaltung gibt es niemanden über 60. Keine einzige Person. Als wäre das selbstverständlich.
Zwei Welten, die sich widersprechen
In einer Welt erhöht man das Pensionsalter. Man fordert die Menschen auf, länger zu
arbeiten.
In der anderen Welt sortieren Unternehmen Menschen jenseits der 55 still
aus.
Diese Welten passen nicht – und niemand verbindet sie.
Wo bleibt das Junktim?
Das Prinzip des Junktims besagt: Zwei
Maßnahmen gehören zwingend zusammen.
Warum wird die Erhöhung des Pensionsalters nicht verbindlich gekoppelt mit Maßnahmen, die Altersdiskriminierung in Unternehmen verhindern?
Warum gibt es keine verpflichtenden Altersdiversitätsziele, kein Monitoring, keine
Pflicht zur fairen Einstellung – insbesondere ab 55?
Es wäre nur folgerichtig: Wer länger arbeiten sollen muss, muss auch arbeiten dürfen. Ohne diesen Ausgleich bleibt ein System unvollständig – oder gar unredlich.
Altersdiskriminierung in Unternehmen – was die Zahlen zeigen
In Österreich berichten laut dem aktuellen Stepstone‑Bericht 2025 rund 25 % der über 50‑Jährigen, dass sie bei der Jobsuche aus Altersgründen abgelehnt wurden. Und 44 % der Recruiter:innen gaben an, schon einmal gezielt darum gebeten worden zu sein, Bewerbungen nach Altersgruppen zu sortieren
Der XING Silver Worker Report zeigt:
39 % der befragten Personen ab 50 haben bereits im Berufsleben Diskriminierung erfahren – davon etwa ein Drittel schon im
Bewerbungsprozess. Mehr als 45 % dieser Betroffenen empfanden die Benachteiligung als groß oder sehr groß
Und: Mehr als ein Viertel der größeren Betriebe stellt laut der Gewerkschaft keine einzige Person über 60 ein, bei Frauen über 60 sind es sogar mehr als die Hälfte der Firmen
Diese Zahlen zeichnen ein klares Bild: Altersdiskriminierung ist kein Einzelfall, sondern ein systemisches Problem.
Parallel dazu wird jungen Menschen oft gesagt, sie müssten jetzt
einsteigen.
Doch die Arbeitslosigkeit unter unter 25-Jährigen ist deutlich höher (ca.
13,1 %, im Vergleich zu Gesamt ~6 %). Viele beginnen mit prekären Arbeitsverhältnissen (Praktika, Befristungen) – ohne Perspektive auf
Stabilität.
Ganz leise höre ich, wie die geflüstert wird: Die Alten blockieren die Jobs der Jungen. Aber das ist gefährlich kurzsichtig.
Denn: Wer nicht in der Pension ist, zahlt Beiträge.
Und wer keinen Job findet – egal ob jung oder alt – belastet das System.
Wir sind alle betroffen
Langzeitarbeitslosigkeit trifft besonders Menschen ab 55. Studien zeigen:
ein Drittel der Langzeitarbeitslosen sind über 50,
rund ein Viertel über 55.
Das sind keine abstrakten Zahlen. Das sind Menschen, die ausgeschlossen werden.
Wenn wir länger arbeiten wollen, müssen wir gleiche Chancen schaffen. Für alle.
Ich habe Glück gehabt.
Aber ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der Glück nicht Voraussetzung für ein
würdevolles Arbeiten ist.
Quellen:
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