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Ich  ·  03. August 2025

Elefantengedächtnis

Bereits in meiner Jugend habe ich damit begonnen, Elefantenfiguren zu sammeln. Warum eigentlich? Diese Frage habe ich mir lange Zeit nicht gestellt – und irgendwann war sie einfach weg.

Erst durch viele Gespräche mit einer Freundin, die mich erst in der zweiten Lebenshälfte kennengelernt hat, kam sie wieder zurück: Warum Elefanten?

 

 

Ich hatte es tatsächlich über Jahrzehnte nicht vergessen – ich hatte es verdrängt. Vergraben. Elefanten haben mich einfach durch mein Leben begleitet. Punkt.

 

 

Aber wie das bei mir eben so ist – wenn einmal etwas in meinem Kopf angekommen ist, dann beginnt es zu arbeiten. Still, im Hintergrund. Und irgendwann tauchte sie wieder auf, die Erinnerung an den Ursprung: Mir wurde als junger Mensch oft gesagt, ich hätte ein Gedächtnis wie ein Elefant.

 

 

Ja, ich habe mir bei bestimmten Ereignissen Details gemerkt, die andere längst vergessen hatten. Ich konnte Monate später noch den Namen einer Person sagen, die ich nur einmal getroffen hatte. Aber dieses sogenannte „Elefantengedächtnis“ hatte auch einen Schatten: Man warf mir vor, ich sei nachtragend. Dass ich Kränkungen nicht vergessen könne – und nicht darüber hinwegsehen würde.

 

 

Nun – ja, es ist auch heute noch so, dass ich mir scheinbar belanglose Details merke, die anderen vermutlich gar nicht auffallen. Aber ich weiß: Ich bin nicht nachtragend. Ich kann verzeihen.

 

 

Ich sitze hier und frage mich, wie ich all das so lange vergraben konnte. Wie ich unbeschwert Figuren sammeln, diese Tiere lieben konnte – und gleichzeitig vergessen habe, welche Zuschreibung mit diesem Tier einst verbunden war.

 

 

Warum ich heute sagen kann, dass ich verzeihen kann? Weil es ein Ereignis in meinem Leben gibt, das das sehr deutlich gemacht hat.

 

 

Meine Schwestern und ich wurden als junge Menschen von der eigenen Familie übergangen. Ein hartes Wort, aber ein zutreffendes.

 

Unser Großvater starb, als ich 14 war und meine Schwestern 12. Unsere Mutter war da bereits fast drei Jahre tot. Mein Vater trat als unser gesetzlicher Vertreter das Erbe an. Er nahm kein Geld, angeblich entsprach das Angebot nicht dem tatsächlichen Wert. Stattdessen wurde erreicht, dass wir – meine Schwestern und ich – im Grundbuch des Grundstücks der Großeltern eingetragen wurden.

 

 

Jahre später, als wir großjährig waren, kam unsere Tante – die Schwester unserer Mutter und meine Taufpatin – auf uns zu. Eigentlich war es ihr Mann, der mit uns „verhandelte“. Sie wollten, dass wir unsere Anteile an sie übertragen. Nicht verkaufen. Schlicht: abgeben. Für ein kleines Geld. Als wir nicht wollten, drohten sie mit Folgekosten – wir müssten künftig für jeden Nagel, jede Renovierung mitzahlen. Ich hatte mich damals schon für Gesetze interessiert und erklärte, dass es umgekehrt sei: Ohne unsere Zustimmung dürften sie gar nichts verändern.

 

 

Es eskalierte. Wir mussten einen Anwalt nehmen, die Tante ebenfalls. Eine gerichtliche Auseinandersetzung stand kurz bevor. Doch bevor es dazu kam, lenkten sie ein. Sie zahlten – widerwillig – unsere Anteile in angemessener Höhe aus. Und der Bruch war da. Mit der Tante, mit der restlichen Familie.

 

 

Dann starb auch unsere Großmutter. Und wieder wurden wir überrascht – und gleichzeitig nicht. Noch zu Lebzeiten hatte sie den aliquoten Anteil, der unserer Mutter zugestanden hätte – hätte sie noch gelebt –, an unsere Tante überschrieben. Ob sie uns tatsächlich vergessen hatte? Oder ob die Tante sie dazu gebracht hatte? Wir werden es nie erfahren. Vielleicht war sie müde, vielleicht beeinflusst. Vielleicht war es auch eine bewusste Entscheidung. Es wurde nie darüber gesprochen. Aber es war ein Übergehen. Ein weiteres.

 

 

Wir hatten nach dem Erbstreit keinen Kontakt mehr zur Tante. Bis 2017.

 

Meine Cousine, ihre Tochter, fand mich über soziale Medien. Sie wusste von all dem nichts. Wir telefonierten, näherten uns an. Und im Sommer 2017 kam es zu einem ersten Treffen – auf dem Grundstück unserer Großmutter, in dem die Tante nun seit Jahren lebte.

 

Ich ging mit gemischten Gefühlen dorthin. Aber nicht mit Groll. Ich hatte den Streit von damals tatsächlich verdrängt. Ich ging reinen Herzens und mit ehrlicher Freude. Doch ich konnte nie wieder ein herzliches Gefühl für meine Tante aufbringen. Sie war in meiner Erinnerung – lange vor dem Streit – eine liebevolle, warmherzige Frau. Heute begegnete mir eine kühle Person.

 

 

Sie fragte oft nach meinen Schwestern, zu denen ich selbst schon lange keinen Kontakt mehr habe. Warum sie nicht kommen würden, warum sie sich nicht melden. Ich sagte nur, dass ich es nicht wisse, dass sie sich selbst darum kümmern müsse. Ich hatte bis vor Kurzem nie den Zusammenhang zwischen dem damaligen Übergehen und dem Fernbleiben meiner Schwestern gesehen – zumindest nicht bewusst. Erst in einem Gespräch mit meiner Freundin sagte ich plötzlich, ohne groß nachzudenken: „Meine Schwestern wollen keinen Kontakt zur Tante, weil sie uns übergangen hat.“

 

 

Das war der Moment. Danach begannen sich Bausteine zu fügen. Ein Puzzle, das langsam, Teil für Teil, wieder ein Bild ergab. Meine Schwestern können – oder wollen – nicht verzeihen. Ich hatte dieses Ereignis über Jahre vergraben. Aber ich hatte verziehen.

 

 

Ich würde mich meiner Tante gegenüber gerne herzlicher verhalten, wenn ich das Gefühl haben würde, willkommen zu sein. Aber ich fühle mich nicht willkommen. Als mein Mann starb, kam sie nicht zum Begräbnis. Der Friedhof ist wirklich nicht weit. Angeblich sei es ihr an diesem Tag nicht gut gegangen.

 

 

Zu Weihnachten, nur vier Wochen nach seinem Tod, lud mich meine Cousine ins Weinviertel ein. Ich fuhr mit meinem Cousin, der auch die Tante chauffierte. Doch schon um 15 Uhr wollte sie wieder nach Hause. Die Bescherung war frostig, trotz der Mühe meiner Cousine. Keine Geschenke, kein warmer Moment. Um 16 Uhr waren wir wieder auf dem Heimweg. Am Heiligen Abend. Mein erstes Weihnachten allein. Um 18 Uhr war ich zuhause – allein. Es war der erste Tag meiner Schritte-Challenge. Auch ein Weg, um die Kälte zu vergessen.

 

 

An meinem Geburtstag rief sie zwei Tage vorher an – sinngemäß: „Ich gratuliere heute, weil sonst muss ich es mir noch länger merken.“ Und es gab Besuche, da stand ich vor dem Gartentor, und sie rief von der Haustüre hinauf: Sie bekomme gleich Besuch, es passe heute nicht, ich solle ein anderes Mal kommen. Das Tor blieb verschlossen.

 

 

Ich habe ihr nie gesagt – und würde es auch nie sagen – dass meine Schwestern deshalb nicht kommen, weil sie nicht verzeihen können. Ich wäre gerne öfter bei ihr, würde sie mich freundlich empfangen. Aber ich kann es nicht. Ich habe verziehen. Aber ich kann nicht vergessen. Und ich kann nicht, wenn ich mich so unerwünscht fühle.

 

Aber ich habe es versucht.

 

 

Und vielleicht ist es genau das, was ich mitgenommen habe aus all den Jahren mit meinen Elefantenfiguren. Dass auch ein Elefantengedächtnis Dinge vergraben kann. Tief. So tief, dass man meint, sie seien vergessen.

 

Aber sie sind es nicht.

 

 

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