Vorgestern hielt ich eine winzige Schraube in der Hand. Gefunden habe ich sie nicht in einer Werkzeugkiste, sondern im eigenen Mund. Mit der Zunge hatte ich plötzlich etwas Hartes gespürt, und mein erster Gedanke war: Nicht schon wieder. Bitte keine neue Katastrophe.
Seit zwei Jahren begleiteten mich Zahnarztbesuche, die nie einfach waren: eine schwierige Extraktion, Operationen, Knochenaufbau, Implantat, Betäubungen, die nicht wirken wollten, Brücken, die nicht passten. Jeder Termin brachte neue Hürden. Und nun also diese Schraube. Ich war überzeugt, dass eine neue Odyssee beginnen würde.
Doch im Behandlungszimmer kam die unerwartete Wendung. Meine Ärztin nahm das kleine Teil in die Hand, lächelte und erklärte, dass es völlig harmlos sei. Es hatte einst eine Membran fixiert, die längst ihren Zweck erfüllt hatte. Dass es nun an die Oberfläche gekommen war, sei kein Problem – mein Zahnfleisch würde sich schließen, und bei der Kontrolle zeigte sich: alles war in Ordnung. Zum ersten Mal seit Langem verließ ich die Praxis nicht erschöpft, sondern erleichtert.
Auf dem Heimweg spürte ich, dass diese winzige Schraube mehr war als nur ein Stück Metall. Sie war ein Symbol für meine letzten drei Jahre. So vieles war geschehen – verborgen, schmerzhaft, fordernd. Dinge, die wie unsichtbare Lasten in mir arbeiteten, und die erst langsam ans Licht kamen.
Im Sommer 2022 begann es mit einer Borreliose, gefolgt von einem Hexenschuss. Kaum erholt, verlor ich meinen Mann – der tiefste Einschnitt meines Lebens. Ich versank in Trauer, während der Alltag doch weiterging. Kurz darauf machten mir starke Schmerzen im Vorderfuß das Gehen zur Qual. Arzttermine, Akupunktur, Therapien – nichts half. Erst nach neun langen Monaten brachte ein Paar spezieller Einlagen Erleichterung.
Parallel dazu kämpfte ich mit der Menopause, die meinen Körper und meinen Geist durcheinanderwirbelte. Schlaflosigkeit, Erschöpfung, Verzweiflung – bis ich im Sommer 2024 endlich eine Ärztin fand, die mir eine Hormontherapie verschrieb und damit neue Lebensqualität schenkte. Dazwischen eine eitrige Angina, die Zahngeschichte, berufliche Herausforderungen, der Hausverkauf, die Geldsorgen – eine unaufhörliche Kette von Prüfungen.
Wenn ich heute zurückschaue, weiß ich: Das war nicht „einfach das Leben“. Es war mehr, als viele Menschen in so kurzer Zeit hätten tragen können. Und doch habe ich es geschafft. Nicht, weil es leicht war, sondern weil ich Schritt für Schritt weitergegangen bin, weil ich nicht aufgegeben habe, auch wenn es oft so aussah.
Diese kleine Schraube erinnert mich daran, dass Belastungen, die lange verborgen sind, irgendwann an die Oberfläche kommen – und dass dies nicht immer Gefahr bedeutet. Manchmal ist es der Moment, in dem Heilung beginnt. So wie mein Zahnfleisch sich nun wieder schließen darf, so dürfen sich auch in mir Wunden schließen.
Jetzt ist die Zeit, in der Ruhe einkehren darf. Zeit, um Kraft zu sammeln, um Leichtigkeit zuzulassen, um wieder aufzuleben. Und wenn ich das nächste Mal lache, dann mit dem stillen Wissen: Ich habe mehr bewältigt, als viele es vermocht hätten – und genau deshalb darf das Leben nun sanfter sein.
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